Ovids Metamorphosen gehören zu den bekanntesten und einflussreichsten Werken der lateinischen Literatur. In dem 15 Bücher umfassendem Werk verarbeitet er um die 250 Sagen der römischen und griechischen Mythologie.
Genau diese Sagen werden in dem Film Métamorphoses vom französischen Regisseur Christoph
Honoré aus dem Jahr 2014 in Form einer modernen Adaption des Werkes zum Leben erweckt. Der
Film ist aufgrund verschiedener erotischer Szenen ab 16 Jahren geeignet. In ausgewählten Mythen verkörpern Schauspieler wie Amira Akili als Europa, Sébastien Hirel als Jupiter und Damien Chapelle als Bacchus prominente Figuren der griechisch-römischen Mythologie.
Wir haben uns den Film im Rahmen des Latein-Unterrichts angesehen und besprochen und wollen jetzt erörtern, ob dieser Film eine gelungene moderne Rezeption von Ovids bekanntestem Werk darstellt.
Der Film thematisiert verschiedene Mythen aus den verschiedenen Büchern der Metamorphosen, jedoch fokussiert er sich auf Liebe als zentrales Thema. Da alle Film-Episoden unterschiedliche Spielarten der Liebe zeigen und Jupiters Affairen in den Focus rücken, wurden wohl auch speziell die im Film behandelten Mythen ausgewählt: Es fehlen bekannte Mythen wie die von Deukalion und Pyrrha, Daphne und Apoll, Pyramus und Thisbe, Jason und Medea oder Daedalus und Icarus. Dafür sind folgende Mythen enthalten: die tabuisierte Form der Liebe bei Diana und Actaeon, Jupiters Affaire mit Europa, die verbotene Affaire Jupiters mit Io und die Geschichte von Juno und Argus, die damit zusammenhängt, Pan und Syrinx, die zerstörerische Selbstliebe des Narcissus, Philemon und Baucis und ihre große Nächstenliebe, die tragische Geschichte des Orpheus, die intersexuelle Liebe in der Sage von Hermaphroditus, der berauschte Baccus und die Minyaden, Bacchus und Pentheus, Atalante und Hippomenes.
Wie bereits erwähnt, ist die Liebe das zentrale Motiv im Mythos von Jupiter und Europa, der den Leitfaden des Films darstellt. Die Geschichte von Liebe und Leidenschaft zwischen der jungen Frau und dem Gott führt den Zuschauer durch den Film und die einzelnen Mythen. Das wiederkehrende Aufgreifen des Mythos soll die Reise versinnbildlichen, die Europa und Jupiter bei Ovid durchleben. Diesen Mythos als Leitfaden zu wählen, ist eine gute und sinnvolle Möglichkeit, den Leser durch Ovids unübersichtliches Werk zu führen und gleichzeitig die zahlreichen, bei Ovid oft nur lose verbundenen Mythen, sinnvoll miteinander zu verknüpfen.
Die moderne Adaption versucht die Metamorphosen der heutigen Zeit anzupassen. Das erkennt man zum Beispiel am Mythos von Bacchus und den Töchtern des Minyas. Während die Minyaden im Original als Verächter des Dionysos und auf das Handwerk konzentrierte junge Frauen dargestellt werden, fällt der Aspekt des Handwerks im Film weg. Dort entführt Bacchus die drei Mädchen aus dem Kino und zwingt sie Spaß zu haben und sich vom Rausch mitreißen zu lassen. Die Schauplätze der Handlungen werden ebenfalls der Moderne angepasst, jedoch haben sie auch etwas Mystisches an sich. Deshalb spielen viele der Sagen, beispielsweise die um Diana und Actaeon, inmitten der Natur, in Wäldern oder an Flüssen und Seen, die von den Menschen bisher unberührt erscheinen. Manche Episoden des Films werden in den modernen Städten des heutigen Frankreichs in Szene gesetzt.
Bei der Verfilmung der Mythen von Narcissus und Orpheus fällt auf, dass die Frauen, also Echo und Eurydike, nicht (im Falle von Echo) oder wenig (Eurydice) berücksichtigt werden. Der Film lässt nicht nur hier wichtige Elemente der römischen Originalvorlage weg, was es dem Zuschauer, besonders ohne Vorkenntnisse, manchmal schwer macht, die Hintergründe und Zusammenhänge nachzuvollziehen und zu verstehen.
Die Aussage und das eigentliche Thema von Ovids Metamorphosen, nämlich die Beziehung des Menschen zu den Göttern, die sein Gegenbild darstellen sollen, werden im Film erkennbar. Die Verfilmung präsentiert die Götter als mächtige Wesen, die über den Menschen stehen und mit den Menschen spielen. So werden auch beide Seiten der Götter berücksichtigt, nämlich einmal die strafende und die Macht repräsentierende, veranschaulicht am Beispiel der Sage von Diana und Actaeon, andererseits die testende und gnädige wie beim Mythos um Philemon und Baucis, die später für ihre Gastfreundschaft und Gutherzigkeit belohnt werden. Die Auswahl der Mythen ist sinnvoll, da sie sich alle um den zentralen Aspekt der Liebe bewegen und dabei Mensch und Gott in unterschiedlichem Licht betrachten.
Es ist zu beachten, dass es den Film nur in französischer Originalfassung mit den dazugehörigen Untertiteln gibt. Auch wenn im Film sehr wenig gesprochen wird, sind Französisch-Kenntnisse nützlich. Zumindest sollten gute Kenntnis von Ovids Metamorphosen vorhanden sein, um dem Film zu folgen.
Alles in einem illustriert der Film die wichtigsten Aussagen von Ovids Dichtung in gelungener Weise und ist eine gute Ergänzung dazu, was wir im Lateinunterricht über Ovids Metamorphosen lernen.
Marie Uhlmann, Mia Schmitz, Thore Heinemann, Annabell Speck
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